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„Elternschaft“ in der Sucht-Selbsthilfe1

„Suchtkranke Eltern wollen gute Eltern sein. Suchtkranke Eltern brauchen Ermutigung und Unterstützung bei der Wahrnehmung ihrer Elternverantwortung. Das Wohl der Kinder muss bei diesen Bemühungen im Mittelpunkt stehen.“2

Zwischen 2,65 und 2,7 Millionen Kinder im Alter von bis zu 18 Jahren sind von einer elterlichen Alkoholstörung betroffen.3 Das heißt: Ein großer Teil der Menschen mit einer Suchtproblematik trägt Verantwortung für Kinder. Sind Kinder für längere Zeit einer suchtbelasteten Situation in ihren Familien ausgesetzt, erhöht sich das Risiko deutlich, dass diese Kinder später in ihrem Leben selbst Sucht- oder andere Entwicklungsstörungen aufweisen. Mögliche negative Auswirkungen für betroffene Kinder sind – analog zu anderen psychiatrischen Störungsbildern – zunehmend in den Fokus der öffentlichen Jugendhilfe geraten. Gemäß der besonderen familiären Situation und den damit verbundenen Risiken in der Entwicklung, gilt es, diesen Kindern eine Sonderstellung in den Hilfesystemen einzuräumen. Zur Situation der Kinder sei an dieser Stelle auf die Darstellung im Rahmen der Broschüre „Suchtberatung bei suchtkranken Eltern zur Förderung des Kindeswohls“ verwiesen.4

Die Beratung und Behandlung von suchtkranken Familien sind für die Suchthilfe keine neuen Handlungsfelder: Eltern mit Suchtstörungen stellen seit jeher einen bedeutsamen Anteil ihrer Klientel. Die Deutsche Suchthilfestatistik (DSHS) 2011 gibt Aufschluss darüber, wie viele Klientinnen und Klienten von Einrichtungen der Suchthilfe in Deutschland Eltern, bzw. Elternteile mit eigenen Kindern sind und mit diesen in einem Haushalt leben.5 Allein aus den Zahlen der Suchthilfe ergibt sich daher, dass im Jahr 2011 mindestens 49.785 Kinder mit einem leiblichen Elternteil zusammen wohnten, welches suchtkrank ist.

Eltern mit Suchtstörungen haben besondere Hemmschwellen im Zugang zur Hilfe zu überwinden, egal ob sich diese Hemmung aus Scham, Schuld oder der Angst vor einem Eingriff in ihr Elternrecht ergibt. Wer suchtkrank ist, kann seiner Verantwortung als Mutter oder Vater, insbesondere in der akuten Suchtphase, nicht immer gerecht werden. Das Bewusstsein, das eigene Kind enttäuscht und verletzt zu haben, kann dazu führen, dass das Thema der eigenen Sucht verdrängt wird – und damit auch die unzureichende Rollenerfüllung gegenüber dem eigenen Kind. Die Unterstützung suchtranker Eltern sollte sich daher vor allem auf das Überwinden der individuellen Hemmschwellen konzentrieren und betroffenen Familien die vielfältigen Möglichkeiten der Suchthilfe vermitteln, welche das Wohl ihrer Kinder fördern können.


Nach längerer Bearbeitungszeit liegt nun ein Bericht mit Ergebnissen und Auswertungen zur Studie aus 2013 vor. Gegenstand der hier behandelten Forschungsstudie war eine anonymisierte Untersuchung zum Thema „Elternschaft“ in den diakonischen Sucht-Selbsthilfegruppen in Form einer zweiteiligen schriftlichen und mündlichen Befragung. Unter Leitung von Agnes Grießmeier und der Gesamtkoordination von Knut Kiepe vom GVS führte eine Forschungswerkstatt an der Evangelischen Hochschule Nürnberg dieses Vorhaben durch. Die Durchführung der Studie erfolgte in enger Abstimmung mit den verantwortlichen Vertretern der drei diakonischen Sucht-Selbsthilfeverbänden Blaues Kreuz in Deutschland e.V., Blaues Kreuz in der Evangelischen Kirche Bundesverband e.V. und den Freundeskreisen für Suchtkrankenhilfe - Bundesverband e.V.

Die komplette Studie zum Herunterladen hier »


Auch – oder gerade – in den Gruppen der Sucht-Selbsthilfe finden wir viele Menschen, die als suchtkranke Eltern Erfahrungen gemacht haben und zum Teil selbst suchtkranke Eltern hatten. Diese Gruppen bieten grundsätzlich gute Möglichkeiten, im geschützten Rahmen über das zu sprechen, was schwer zu ertragen ist.

Insgesamt wird das Thema „Elternschaft“ in den Gruppen der Sucht-Selbsthilfe dennoch eher selten intensiv und situationsbezogen diskutiert. Dies hat vor allem einen Grund: Junge Menschen – ganz besonders die in einer „derzeit aktiven Elternrolle“6 – sind in den Gruppen der Sucht-Selbsthilfe eine Seltenheit, da sich das Gros der Teilnehmenden in den Sucht-Selbsthilfegruppen in der Altersspanne von 50 bis über 60 Jahren befindet.7 Einige derjenigen, die sich in Fort- und Weiterbildungen zu ehrenamtlich Mitarbeitenden qualifizieren lassen, sind im Durchschnitt jünger und setzen sich im Rahmen ihrer Ausbildung intensiver mit der Thematik auseinander.

Zudem scheint es sich gerade beim Thema „Elternschaft“ um einen wunden Punkt zu handeln, über den auch immer wieder geschwiegen wird – bei diesem besonders sensiblen Thema herrscht als Strategie daher häufiger „Verdrängung“ statt „Offenheit“ vor.

Dabei können alle Teilnehmenden in den Gruppen Erfahrungen zum Thema „Elternschaft“ beisteuern und von diesem Austausch profitieren – neben den derzeit aktiven Eltern selbstverständlich auch die „Großelterngeneration“ mit ihren Erfahrungen als Eltern oder mit deren eigenen Eltern. Eine intensivere Auseinandersetzung mit dem Thema „Elternschaft“ kann helfen, persönliche „Reflexionslücken“ zu schließen. Darüber hinaus bietet die Auseinandersetzung mit diesem Thema die Möglichkeit einer Annäherung zwischen den verschiedenen Generationen innerhalb der Sucht-Selbsthilfe und führt unter Umständen zu einem größeren Verständnis untereinander.


1 Die ersten Textpassagen der Einleitung sind entnommen aus: Gesamtverband für Suchthilfe e.V. (Hrsg.):
Suchtberatung bei suchtkranken Eltern zur Förderung des Kindeswohls. 2. überarbeitete Neuauflage. GVS, Berlin 2014.

2 Aus: 10 Eckpunkte zur Verbesserung der Situation von Kindern aus suchtbelasteten Familien.
Vereinbart auf der Fachtagung „Familiengeheimnisse – Wenn Eltern suchtkrank sind und die Kinder leiden“,
04. und 05. Dezember 2003 im Bundesministerium für Gesundheit und Soziale Sicherung, Berlin.

3 Lenz, A.: Riskante Lebensbedingungen von Kindern psychisch und suchtkranker Eltern – Stärkung ihrer Resilienzressourcen durch Angebote der Jugendhilfe.
Expertise im Rahmen des 13. Kinder- und Jugendberichts der Bundesregierung. München 2009, S. 7.

4 Gesamtverband für Suchthilfe e.V. (Hrsg.): a.a.O., S. 7.

5 Eigene Auswertung auf Grundlage der Deutschen Suchthilfestatistik 2011.
Auswertungen sind über Tabellenbände erhältlich unter
http://www.suchthilfestatistik.de/cms (abgerufen am 03.02.2016).

6 Mit einer „derzeit aktiven Elternrolle“ ist die Wahrnehmung einer Erziehungsfunktion und -verantwortung
im Rahmen der elterlichen Sorge für Kinder bis zur Volljährigkeit (also bis zum Ablauf des 18. Lebensjahres) gemeint.

7 Statistik 2010 der 5 Selbsthilfe- und Abstinenzverbände,
http://www.sucht.org/fileadmin/user_upload/Service/Publikationen/Information/Statistik/Statistik_5_Verbaende_Selbsthilfe_Aktuell.pdf
S. 6 (abgerufen am 03.02.2016).

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